In ganz Deutschland sind Ausländerbehörden an der Grenze des Leistbaren. Migrantinnen und Migranten müssen um Aufenthaltstitel und Jobverluste fürchten. Bund und Länder finden keine schnellen Lösungen.
Seit Monaten bildet sich jede Nacht, bis zu 15 Stunden vor der Öffnungszeit, eine Schlange mit Zelten und Campingstühlen vor der Ausländerbehörde in Stuttgart. Erst wenn sich die Tür am Morgen öffnet, wird kommuniziert, wie viele Notfallnummern es an diesem Tag geben wird. Manchmal sind es 15, 20 oder auch 25.
Nach jeder dieser Nächte gehen Menschen ohne Termin wieder nach Hause, schildern mehrere Migrantinnen und Migranten. Um die 150 Euro bekomme man zurzeit von Betroffenen auf die Hand, wenn man für sie die ganze Nacht auf der Straße für ein “Notfallticket” vor der Ausländerbehörde campiert.
Voraussetzung für ein Notfallticket: Der Aufenthaltstitel läuft innerhalb der nächsten sieben Tage ab und es wurde noch kein Termin zugewiesen. Und auch dann wird, falls noch nicht zuvor per Post, nur eine sogenannte Fiktionsbescheinigung ausgestellt. Diese Bescheinigung verzögert den Prozess, bis ein regulärer Termin gefunden wurde.
“Als ich kurz vor Öffnung mittags zur Behörde kam, hat mich der Security-Mann ausgelacht und gesagt, dass ich spätestens um 4.00 Uhr morgens hier sein müsste, um eine Chance auf ein Ticket zu haben”, erzählt die 31-jährige Brasilianerin Luiza Piton, die seit sieben Jahren in Deutschland lebt.
Betroffene verlieren Arbeitsstellen
Menschen, die lediglich ihren Arbeitsplatz wechseln möchten, müssen auf einen Termin warten. Das kann aber Monate dauern. Ein Betroffener erzählt, dass er seinen Job nicht antreten konnte, weil die Firma nach drei Monaten nicht mehr auf den Bescheid von der Behörde warten konnte.
Der Pressesprecher der Stadt Stuttgart sagt dazu: “Ohne lang drumherum zu reden: Die Darstellungen von Betroffenen treffen zu. Leider.” Die Ausländerbehörde sei aufgrund der Vielzahl an unbesetzten Stellen seit Monaten nicht mehr in der Lage, allen Anliegen ihrer Kunden zeitnah gerecht zu werden. “Dazu gehören auch die Anliegen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aller Sparten.” Man bemühe sich seit Monaten um zusätzliches Personal und eine allgemeine Besserung der Situation.
Bundesweit drastische Situation
Stuttgart ist ein Extremfall, aber in ganz Deutschland melden die zuständigen Ministerien auf Anfrage von funk massive Überlastung und dadurch verzögerte Bearbeitungen von Anträgen. Die meisten Ministerien haben jedoch keinen detaillierten Überblick über die Situationen an den einzelnen Behörden und verweisen auf die zuständigen Kommunen. Durch diese Zuständigkeit auf Kommunalebene ist die jeweilige Situation, zum Beispiel bezüglich finanzieller Mittel oder Digitalisierung, individuell.
Neben Personalmangel und der aktuellen Flüchtlingssituation durch den Angriffskrieg auf die Ukraine komme laut den meisten zuständigen Ministerien auch mehr Bürokratie hinzu. Genannt werden Regelungen des Bundes, die zu mehr Komplexität und Aufwand führten.
Ministerien kritisieren aufwendige Prozesse
Die Behörde von Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) begrüßt zwar die Migrationspolitik der Bundesregierung, teilt aber auf Anfrage mit: “Die damit verbundenen gesetzlichen Änderungen kommen zur Unzeit.” Zum Beispiel durch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz versuche der Bund “jetzt massiv Personen aus dem Ausland anzuwerben, wo die Ausländerbehörden schon für die vorhandenen Kunden keine Zeit mehr haben”. Auch das neue Chancen-Aufenthaltsrecht bringe komplexere Prozesse mit sich.
Ähnliche Kritik kommt aus den von der Union geführten Bundesländern Bayern, Berlin und Hessen. Die zuständigen Ministerien teilen mit, dass die Migrationspolitik und -gesetzgebung des Bundes zu einem erheblichen Mehraufwand bei den Ausländerbehörden führt, und fordern für die Praxis bessere Rahmenbedingungen.
Eine schnelle Lösung für die überlasteten Ausländerbehörden kann das Bundesinnenministerium nicht versprechen. Aber man wolle die Prozesse vereinfachen und die Gültigkeitsdauer der Aufenthalte verlängern, sagt ein Sprecher des Ministerium. Zudem seien durch die Ende August verabschiedete Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung die Erfordernisse der Ausländerbehörden im Visumverfahren bei der Einwanderung zur Erwerbstätigkeit und Bildung stark minimiert worden.