In Politik und Wirtschaft ist eine heftige Debatte über die Schuldenbremse entbrannt. Sollte der Staat konsequent sparen – oder doch lieber kräftig investieren?
“Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not”, sagt ein deutsches Sprichwort. Gemeint ist, dass in guten Zeiten zurückgelegtes Geld die schlechten Zeiten überbrücken helfen soll. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse macht genau das Gegenteil. Sie begrenzt die maximale Schuldenaufnahme in guten wie in schlechten Zeiten auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – womit der Staat in wirtschaftlich starken Jahren mehr ausgeben kann.
Nur in Notsituationen kann die Schuldenbremse ausgesetzt werden. Es gibt die Möglichkeit, bei einer von der “konjunkturellen Normallage” abweichenden Situation, die Schuldenaufnahme anzupassen, das heißt, höhere Kredite in einem Abschwung aufzunehmen. Wie diese Abweichung berechnet wird, ist allerdings umstritten.
Milliarden für die Banken als Lektion
2009 unter dem Eindruck der Finanzkrise entstanden, sollte die Schuldenbremse Gegenmittel sein gegen eine überbordende Staatsverschuldung. Damals hatten viele Staaten angeschlagene Banken mit Milliardensummen vor dem Kollaps gerettet. Deutschland verstaatlichte unter anderem die Hypo Real Estate und beteiligte sich an der Commerzbank. Die Schuldenbremse fand erstmals 2011 Anwendung. Seit 2016 ist ein ausgeglichener Haushalt zwingend vorgesehen.
Vergangene Woche nun hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass 60 Milliarden Euro an ungenutzten Kreditermächtigungen für den Kampf gegen die Corona-Pandemie nicht rückwirkend in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verschoben werden dürfen. Diese 60 Milliarden Euro fehlen nun in der Haushaltsplanung des Bundes. Die Entscheidung hat nicht nur eine politische Debatte über die Schuldenbremse losgetreten. Gleich mehrere Haushaltsposten wurden gesperrt.
Größerer Schaden ohne neue Schulden?
Auch in der Wirtschaft ist man uneins über das Für und Wider einer Schuldenbremse. Während die Gewerkschaften einhellig für ein Aussetzen plädieren, ist die Arbeitgeberseite – wenig überraschend – dagegen. “Statt die Schuldenbremse auszutricksen, muss jetzt eine Offensive für den Standort Deutschland kommen”, sagte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands BDA. “Nicht die Schuldenbremse, sondern die hohen Ausgaben und die Reformmüdigkeit sind unser Problem.”
Widerspruch kommt von einer ganzen Reihe von Ökonomen. So ist der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, überzeugt, dass der deutsche Staat nicht ohne die Aufnahme neuer Schulden auskommen wird. Wenn der Staat jetzt am Sparhaushalt festhalte, entstehe ein viel größerer Schaden als durch die Aufnahme neuer Schulden.
“Wir brauchen jetzt eine Investitionsoffensive, damit Deutschland zukunftsfähig wird, der Wirtschaftsstandort Deutschland gesichert wird und eben auch ein sozialer Ausgleich stattfindet”, so Fratzscher. Ähnlich argumentiert auch die Vorsitzende des wirtschaftlichen Beratungsgremiums der Bundesregierung, der sogenannten Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, die sich für ein Aussetzen der Schuldenbremse und eine Reform aussprach.
Reformen schwer umzusetzen
Wie diese Reform aussehen soll, ist umstritten. Die Schuldenbremse gilt generell als Erfolg, jedoch als nicht flexibel genug. Eine Möglichkeit wäre, eine schrittweise Rückkehr nach einer Krisensituation zu ermöglichen. Schließlich, so das Argument, seien die Folgen der Corona-Pandemie noch nicht ausgestanden.
Auch könnten einige Zukunftsvorhaben, wie der Klimaschutz oder der Ausbau der Infrastruktur, explizit von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Der Haken: Jede Änderung des Grundgesetzes benötigt eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Eine solche scheint aber – zumindest in dieser Legislaturperiode – nicht erreichbar.
Jahrelange Notlage?
Bleibt also derzeit nur die Möglichkeit, über mehrere Jahre eine Notlage auszurufen und so die Ausnahmeregel der Schuldenbremse zu beanspruchen. Allerdings besteht dann die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Beschluss erneut kippt.
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm stellt dazu fest: “Das Aussetzen der Schuldenbremse per Notfallregel erfordert eine Notlage. Die ist schwer zu argumentieren.” Es bleibt also kompliziert, Investitionen und Haushaltsdisziplin unter einen Hut zu bekommen.