Es gibt bewährte Rituale auf Parteitagen. Wenn neue Führungspolitiker ihre erste Rede gehalten haben, stehen die Delegierten auf und applaudieren minutenlang. So geschieht es auch in der Halle in Berlin-Kreuzberg: Linda Teuteberg hat gerade den letzten Satz ihrer Antrittsrede als neue FDP-Generalsekretärin gesprochen, da erheben sich die Delegierten und die Führung auf dem Podium. Teuteberg nimmt die Zustimmung strahlend entgegen. Irgendwann geht sie ans Pult und sagt: “Vielen Dank, das gibt Kraft, aber jetzt gehen wir an die Arbeit.”
Der Satz wirkt wie eine Selbstverpflichtung. Die Juristin, mit über 92 Prozent am Vortag ins neue Amt gewählt, steht am Anfang eines Experiments, und das im doppelten Sinne: Es ist ein Risiko sowohl für sie persönlich wie auch für ihre Partei. Nun muss sie in den kommenden zwei Jahren Wahlkämpfe mitorganisieren, Akzente setzen, neue Impulse geben.
Eine Schonfrist hat Teuteberg kaum. Bereits an den Ergebnissen der FDP bei den vier Landtagswahlen in diesem Jahr wird auch sie gemessen werden. Parteichef Christian Lindner, auf dem Parteitag wiedergewählt, versuchte kürzlich, die Bürde mit dem Hinweis abzufedern, Teuteberg sei Teil eines “starken Teams”, sei seit vielen Jahren “sehr professionell” unterwegs und wisse, dass “Politik ein Mannschaftssport” sei. Wie weit das gelingen wird, ist eine offene Frage. An der Seite eines selbstbewussten 40-jährigen Parteichefs wird die nicht weniger selbstbewusste 38-jährige Teuteberg ihre Rolle und ihren Platz finden müssen. Manche in der FDP sehen dem mit einer gewissen Spannung entgegen.
Denn dass Teuteberg in die engere FDP-Spitze aufrückte, kam für manche Führungspolitiker in der FDP überraschend. Ihnen galt der nordrhein-westfälische FDP-Generalsekretär Johannes Vogel als Favorit. Doch Lindner – der als Parteichef das Vorschlagsrecht hat – entschied sich am Ende für die Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg. Damit sorgte er zumindest auf einem Feld für Kontinuität, denn mit ihr folgte auf die bisherige Amtsinhaberin Nicola Beer wieder eine Frau. Das geschieht zu einem Zeitpunkt, da die FDP bei weiblichen Mitgliedern auf einen Anteil von 21,6 Prozent und damit einen neuen Tiefstand kommt.
In einer nach wie vor weitgehend von Männern dominierten Partei – die FDP-Delegierte Anita Rick-Blunck sorgte auf dem Parteitag in der Debatte über frauenpolitische Anträge mit dem Satz von der “Männerpartei” für Aufregung – wird sie wohl keiner unterschätzen. Im Brandenburger Landesverband, der als einer der schwierigsten in der FDP gilt, überstand sie in den vergangenen Jahren manche männliche Intrige.
Auf dem Bundesparteitag kam Teuteberg in ihrer ersten programmatischen Rede ohne Mätzchen und Gags aus. Das wirkte, wohl unfreiwillig, wie ein Gegenentwurf zum FDP-Chef, der am Vortag in manchen Passagen seiner überaus langen Rede für Lacher und Heiterkeit gesorgt hatte.
Teuteberg ging auf Nummer sicher: Die FDP sehe die Wirtschaft als “Fundament für individuelle Lebensplanung”, wolle Wirtschaft und Klimaschutz “endlich versöhnen”, setze auf einen weltweiten Emissionshandel. “Nicht die FDP muss grüner werden”, sagte sie, “die Energie- und Klimapolitik in Deutschland muss offener und vernünftiger werden”.
Ihre Herkunft als Ostdeutsche setzte Teuteberg sparsam ein, warb dafür, dem Osten Deutschlands nicht “mit hehren Versprechungen, sondern mit Respekt und Ehrlichkeit” zu begegnen. In einer kurzen außenpolitischen Passage betonte sie, es stehe “außer Frage, dass der Platz unserer Republik an der Seite westlicher Demokratien ist”.
Solche Sätze kamen bei den Delegierten an, ebenso wie Klassiker aus dem FDP-Repertoire, so die Forderung nach einer Abschaffung des Solidaritätszuschlags zum Ende dieses Jahres. Teuteberg bediente auch die Erwartungen an eine mitfühlende FDP. Kürzlich hatte Lindner mit Verweis auf ihre Migrationsthemen erklärt, sie verbinde “Konsequenz” mit “Empathie” – er erhoffe sich, dass sie “diesen Stil auch auf andere Fragen für uns mit übertragen kann”.
Auf dem Parteitag war davon etwas zu spüren: Teuteberg lobte das Engagement der Familien in der Pflege, in Gemeinden und bei kommerziellen Pflegediensten. Ohne diese “würden wir heute schon einen viel größeren Pflegenotstand haben”. Die FDP müsse “viel tun, um den gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zu festigen”. Das waren durchaus neue Töne.
Teuteberg könnte für Lindner auch eine Antwort auf den Einbruch der AfD in bürgerliche Schichten sein. Wie Vertrauen in den Rechtsstaat zurückgewonnen werden kann, war ein Kernthema ihrer Rede. Man müsse die “Fundamente in unserem Rechtsstaat endlich wieder festigen”, da sei “in den letzten Jahren einiges ins Rutschen geraten”, betonte sie. Justiz und Polizei müssten besser ausgestattet werden.
Dass wegen überlanger Verfahren mutmaßliche rechtsradikale Brandstifter wieder auf freien Fuß kämen, dass Steuerbetrug in Milliardenhöhe nicht konsequent verfolgt oder Straftäter nicht konsequent abgeschoben, geringfügige Rückzahlungen von Hartz-IV-Beziehern oder Bußgelder im Straßenverkehr aber mit enormem Aufwand verfolgt würden, das sei ein Zustand, “den viele Menschen nicht verstehen und den wir auch als Rechtsstaatspartei nicht ertragen können”.
Deutliche Botschaften lieferte sie auch auf einem Feld, mit dem sie sich bereits in eineinhalb Jahren als migrationspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion zu profilieren suchte. Deutschland brauche ein Einwanderungsgesetz und gleichzeitig “eine konsequente Bekämpfung und Begrenzung illegaler Migration.” Die FDP stehe zum Grundrecht auf Asyl, zugleich gehöre es aber zu “einem rechtsstaatlichen Asylsystem, dass gehen muss, wer kein Recht auf Aufenthalt hat”.
Für solche Sätze, im Stil zurückhaltend vorgetragen, bekam sie viel Applaus.