Seit Jahren veranstaltet Rudolf Scharping eine deutsch-chinesische Wirtschaftskonferenz. Experten kritisieren gegenüber Report Mainz das Engagement des einstigen Spitzenpolitikers. Der Vorwurf: Er mache sich zum Sprachrohr Chinas.
In chinesischen Staatsmedien ist Rudolf Scharping ein offenbar gern gesehener Gast. Der frühere Verteidigungsminister, SPD-Bundesvorsitzende und Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, sagt dort in Kameras Sätze wie “der Aufbau eines Rechtsstaats” in China sei “im Gange”, das System mit unseren “klassischen Vorstellungen von Diktatur” nicht zu vergleichen.
In deutschen Fernsehmedien lassen sich hingegen kaum aktuelle Interviews mit dem heute 75-Jährigen finden. Dem ARD-Politikmagazin Report Mainz ließ er mitteilen, er stünde für ein Interview vor der Kamera nur zur Verfügung, wenn dieses “live” geführt werde, “d.h. kein Zusammenschnitt ist”.
Mareike Ohlberg, Sinologin bei der amerikanischen Stiftung German Marshall Fund, sieht in dem einstigen Spitzenpolitiker einen sogenannten “Freund des chinesischen Volkes”. Die Bezeichnung sei in China ein feststehender Begriff und beschreibe eine Person, die “politisch bereit ist, den chinesischen Parteistaat zu unterstützen und sich für die Interessen des chinesischen Parteistaats einzusetzen”.
Darüber hinaus werde Scharping aber “sicherlich auch wahrgenommen als jemand, der mit dem Ausland wirtschaftliche Beziehungen aufbaut, Verbindungen herstellt und möglicherweise deutsche Unternehmen nach China bringt.”
Experten kritisieren Rolle Scharpings
Nach dem Ende seiner politischen Karriere 2002 gründete Scharping eine Beratungsfirma. Der Homepage zufolge berät er “unter anderem Kunden aus den Bereichen Automobil, Maschinenbau, Chemie, Medizin und Gesundheit” oder “Stadtplanung und Gewerbeparkgestaltung”. Sein Schwerpunkt: China. Auf der Firmenwebseite wirbt er mit seinen früheren Ämtern als “Bundesminister der Verteidigung, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz”.
In chinesischen Medienberichten werden die ersten beiden früheren Amtstitel zu seinem Namen meist mit angeführt. So auch vergangenes Jahr, als Scharping in einem Artikel der Zeitung “China Daily” (Hong Kong Edition) als einziger deutscher Gratulant zur Eröffnung des 20. Parteitags genannt wurde – ein Parteitag, der Xi Jinping die Amtsausübung auf Lebenszeit ermöglicht.
2021 stellte Scharping einer chinesischen Webseite zufolge dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas eine Rede zur Verfügung, in der es heißt: “An dem ‘100. Geburtstag’ der Kommunistischen Partei Chinas wird […] der unzähligen Menschen gedacht, die dafür gekämpft und sogar ihr Leben geopfert haben.”
Umfassende Fragenkataloge unbeantwortet
Ralph Weber, Politikwissenschaftler am Europainstitut der Universität Basel, hält diese Aussage für bemerkenswert. “Er spricht nicht die Opfer an, die die Partei angerichtet hat, sondern die Opfer, die sie auf sich genommen hat – und das eben als ehemaliger Bundesminister.” Wenn man versuche, in China “mögliche Kooperationsräume zu finden”, sei das womöglich nachvollziehbar, “aus liberal demokratischer Perspektive” jedoch mindestens “fragwürdig”.
Umfassende Fragenkataloge, die Report Mainz Scharping schickte, ließ er unbeantwortet. Über einen Anwalt ließ er jedoch allgemein mitteilen: “Ich adressiere in diversen Medien und auf diversen Foren immer wieder kritische Themen wie Menschenrechte und zu kritisierende Punkte zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in China. Ich bin auch der Auffassung, dass trotz fundamentaler Gegensätze gemeinsame weltweite Herausforderungen wie Frieden, Klimawandel und andere nur gemeinsam im Dialog gelöst werden können.”
Auch Andreas Fulda, Politikwissenschaftler an der Universität Nottingham, kritisiert Scharping für seine Aussagen in Zusammenhang mit China. Im Interview mit Report Mainz äußerte er den Eindruck, dass Scharping “ein kommerzielles Interesse an dem Land” habe. Auch er fände das weniger problematisch, “wenn er das nicht eben als ehemaliger deutscher Spitzenpolitiker täte”.
Prominente Gäste aus Politik und Wirtschaft
Vor zwei Wochen fand Scharpings deutsch-chinesische Wirtschaftskonferenz zum zehnten Mal statt, dieses Jahr in Darmstadt. Die Veranstaltung ist bekannt dafür, dass dort chinesische und deutsche Vertreter hochrangiger Firmen und namhafte Politiker erscheinen. Zu den aus der Politik in Deutschland bekannten Gästen der vergangenen Jahre zählten unter anderem Sigmar Gabriel (SPD), Hans-Peter Friedrich (CSU), Brigitte Zypries (SPD), Norbert Walter-Borjans (SPD), Günther Oettinger (CDU) oder Volker Wissing (FDP). Das zeigen Dokumente zu den Veranstaltungen auf Scharpings Homepage der Beratungsfirma.
In diesem Jahr nahm der thüringische Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) am offiziellen Abendessen der Konferenz in der Darmstädter Orangerie teil. Hans-Peter Friedrich sagte nach Informationen von Report Mainz wegen Krankheit ab. Sigmar Gabriel soll zwar am Abend vor der Konferenz bei einem inoffiziellen Abendessen mit unter anderem dem chinesischen Botschafter dabei gewesen sein, vor Beginn der Konferenz jedoch kurzfristig wieder abgereist sein. Sowohl Friedrich als auch Gabriel ließen Fragen dazu unbeantwortet.
Co-Veranstalter Teil der chinesischen Internationalen Abteilung
Waren die von Scharping in seiner Stellungnahme angesprochenen “kritischen Themen” auf der Konferenz zu hören? Report Mainz fragte im August erstmals eine Teilnahme an der Konferenz an, erhielt trotz mehrfacher Nachfragen jedoch nie eine Antwort.
Trotzdem hat für das ARD-Politikmagazin jemand die Veranstaltung beobachtet. Die Person schildert ihren persönlichen Eindruck im Gespräch mit Report Mainz so: “Menschenrechtsverletzungen oder die Probleme in und mit China waren aus meiner Sicht kein Thema.” Nach ihrem Eindruck wurden dort als großes Problem “eigentlich eher die aktuell kritische Haltung von Politik und Gesellschaft gegenüber China gesehen.”
Verfassungsschutz rät vom Kontakt ab
Co-Veranstalter der Konferenz war wie auch schon in vorangegangenen Jahren die chinesische Organisation “China Economic Cooperation Center” (CECC). Das CECC ist eigenen Angaben zufolge der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas “direkt unterstellt”.
Im Juli hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz einen Sicherheitshinweis für Politik und Verwaltung herausgegeben, in dem die Behörde bei Kontakten zu Mitgliedern der Internationalen Abteilung “besondere Vorsicht und Zurückhaltung” empfiehlt, da die Abteilung “de facto wie ein Nachrichtendienst” agiere.
Die chinesische Botschaft weist den Vorwurf zurück, schrieb dem ARD-Politikmagazin, die Internationale Abteilung sei “offen, transparent und daher keineswegs ein ‘Geheim- oder Nachrichtendienst’, wie sie von manchen Behörden diffamiert wurde.”
Expertin sieht politische Einflussarbeit
Zentrale Aufgaben der Internationalen Abteilung seien nach Einschätzung der Sinologin Mareike Ohlberg die politische Beeinflussung im Ausland und der Versuch, hierfür Kontakte zu knüpfen. Im Interview mit Report Mainz sagte sie, die Zugehörigkeit des Co-Veranstalters zur Internationalen Abteilung weise ihrer Einschätzung nach darauf hin, dass es “nicht nur um wirtschaftliche Zusammenarbeit” gehe. Das CECC sei “ganz klar Teil von der eigenen politischen Einflussarbeit”.
Dazu gehöre auch, die Beeinflussung der Außendarstellung Chinas. Auf die Frage, was er zum Sicherheitshinweis des Verfassungsschutzes in Bezug auf die Wirtschaftskonferenz sage, sagte Tiefensee Report Mainz am Rande des offiziellen Abendessens der Konferenzteilnehmer, es sei “insgesamt immer problematisch, mit Staaten, die keine Demokratie haben, […] Ansprechpartner zu haben und zu finden, die nicht in irgendeiner Weise mit dem System zusammenhängen.” Er sei der Auffassung es sei trotzdem gut, “dass wir Plattformen finden, um im gegenseitigen Austausch zu bleiben.”
Aktuelle Politik verweist auf Scharping als Privatperson
Und was sagt die aktuelle Politik zum China-Engagement eines ehemaligen Verteidigungsministers und SPD-Vorsitzenden? Auch vor der aktuell festgelegten China-Strategie der Bundesregierung? Viele der angefragten Politiker antworteten nicht auf die Anfrage. Ein Sprecher der SPD teilte Report Mainz schriftlich mit, Rudolf Scharpings Zeit als stellvertretender und später Parteivorsitzender liege “fast 25 Jahre zurück”.
Er sei “kein Repräsentant der SPD mehr, sondern agiert privat.” Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes schrieb, Scharping sei kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung. Seine Äußerungen seien “daher auch nicht als Aussagen der Bundesregierung oder außenpolitischen Positionierung Deutschlands zu interpretieren.”
Kritik aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Michael Brand, Sprecher für Menschenrechte in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sieht das anders. Im Interview mit Report Mainz sagte er, aus seiner Sicht habe Scharping “sich und seine Seele schlicht und einfach verkauft”. Er sei damit “auch ein Instrument eine der größten Diktaturen der Geschichte geworden, die unsere Freiheit, unsere Art zu leben bedrohen.”
Die chinesische Botschaft teilte Report Mainz auf Nachfrage mit, Scharping spiele “seit langem” ein “Rolle als ein konstruktiver und kritischer Vermittler bei der Förderung des Austauschs und der Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland.”