Drei Tage war Kanzler Scholz in Westafrika unterwegs – die Region ist wichtig als Energielieferant, aber auch, um die irreguläre Migration einzudämmen. Zurück in Berlin hat Scholz nun viele Eindrücke im Gepäck – aber wenig davon ist konkret.
Der Weg am Morgen ist beschwerlich. Es hat angefangen zu regnen. Die unbefestigte Straße in die Berge vor Accra ist matschig, voller Pfützen. Die Kanzler-Kolonne kommt langsamer voran als geplant: Der Kanzler wird nicht pünktlich an der renommierten Ashesi-University ankommen. Den Studierenden macht das nichts aus. Mit geradezu deutscher Disziplin warten sie auf Scholz. Dem ist der Termin sehr wichtig. Deshalb steht er im Programm noch vor dem Treffen mit Ghanas Präsident Akufo-Addo.
Der Kanzler will sich anhören, was die jungen Menschen über ihr Land, seine Perspektiven und Deutschland denken. Doch positiv ist das nicht, was Scholz dann erst einmal zu hören bekommt. Die Studierenden lesen dem Kanzler kräftig die Leviten. “We need no Western savior”, “Wir brauchen keinen Retter aus dem Westen”, erklärt ihm die Studentin Valerie Akon.
Das Potenzial ist da, aber…
Eines wird schnell klar: An Selbstbewusstsein mangelt es den jungen Menschen nicht. Sie gehören hier schließlich zur Elite. “Es gibt sicherlich viele Probleme hier, das aber ist nur eine Seite der Medaille – unser Kontinent hat jede Menge Potenzial, das gehoben und gefördert werden muss”, sagt Valerie weiter.
Zumindest da trifft sie den Nerv des Bundeskanzlers. Potenzial, das gehoben und gefördert werden muss, das ist ganz in Scholz´ Sinne, dafür ist er schließlich nach Ghana und auch nach Nigeria geflogen. Zum einen ist da das Energie-Potenzial. In Nigeria versucht Scholz mit Hochdruck zu erreichen, dass der Ausbau des Stromnetzes mithilfe deutscher Firmen erfolgt. Der Ausgang ist allerdings offen. Scholz wünscht sich von Nigeria auch Investitionen in ein neues LNG-Terminal. Der Gedanke dahinter: Wenn Nigeria als Anbieter für Deutschland relevant wird, senkt das höhere Angebot die Gaspreise auf dem Weltmarkt.
Doch die erhofften Gaslieferungen werden wohl nicht von heute auf morgen möglich. Aber die Werbetour des Kanzlers für “Made in Germany for Africa” erstreckt sich nicht nur auf Energie. “Die Geschichte, die ich Ihnen anbieten möchte, ist eine, wo deutsche und nigerianische Potenziale verschmelzen, eine Geschichte von Wachstum zu gegenseitigem Nutzen, sauberer Energie und legaler Migration”, sagt Scholz.
Höfliches Hinhalten
Die Migrationsfrage versucht der Kanzler in Afrika, vor allem in Nigeria mit seinen 220 Millionen Menschen, in seinem Sinne positiv zu besetzen. Die irreguläre Zuwanderung nach Deutschland soll begrenzt werden – es werden ohnehin nicht viele Nigerianerinnen und Nigerianer in Deutschland anerkannt. Die legale Zuwanderung dagegen soll gefördert werden. “Ja”, sagt Scholz zu dem nigerianischen Präsidenten, “wir brauchen in Deutschland talentierte Menschen, die hier arbeiten wollen und regulär hergekommen sind”.
Der Präsident hört sich das Ganze geduldig an. Aber auch hier bekommt Scholz keine festen Zusagen, dass Nigeria in Deutschland abgelehnte Asylbewerber zurücknimmt. Lediglich das: Man sei bereit, zusammen in diese Richtung zu arbeiten.
Eigentlich reicht das aber nicht. Derzeit gibt es in Deutschland fast 13.800 ausreisepflichtige nigerianische Staatsbürger. Das Problem: Etwa 12.500 von ihnen sind geduldet. Der häufigste Grund: fehlende Papiere. Hier käme Nigeria ins Spiel. Deutschland wünscht sich mehr Kooperation bei der Identitätsfeststellung. Zum Beispiel einen festen zuständigen Beamten in der Botschaft in Berlin. Doch bisher ist Nigeria sehr zurückhaltend.
Warten auf Brüssel
Das ist wohl einer der Gründe, warum im laufenden Jahr laut Bundesinnenministerium erst 262 Menschen nach Nigeria abgeschoben werden konnten. Teil der Lösung könnte ein bilaterales Migrationsabkommen zwischen Deutschland und Nigeria sein. Darin könnte man mit dem westafrikanischen Land feste Kontingente für legale Fachkräftemigration vereinbaren. Denn Nigeria ist daran interessiert, dass Menschen nach Deutschland kommen können. Einerseits fehlt dem heimischen Arbeitsmarkt der Schwung, um die schnell wachsende Bevölkerung komplett in Arbeit zu bringen. Andererseits sind Überweisungen von Auslandsnigerianern eine wichtige Devisenquelle für das Land.
Ein Migrationsabkommen könnte also für beide Seiten interessant sein. Doch diplomatische Gründe verhindern zurzeit konkrete Verhandlungen. Das liegt an den Verhandlungen auf EU-Ebene. Das Abkommen zwischen Nigeria und der Europäischen Union steht wohl kurz vor dem Abschluss. Die Bundesregierung will nicht dazwischen grätschen, sondern das Verhandlungsergebnis abwarten. Klar ist aber schon jetzt, dass es ein eigenes Abkommen braucht. Über Einreisekontingente kann die EU nämlich gar nicht entscheiden.
Weniger Geld für freiwillige Rückkehrer
Deshalb fokussiert sich Scholz auch zunächst auf andere Werkzeuge, zum Beispiel die freiwillige Rückkehr. Am Montag hatte der Bundeskanzler das Zentrum für Migration, Jobs und Re-Integration in der nigerianischen Megametropole Lagos besucht. Hier wird in kleinem Rahmen daran gearbeitet. Nigerianer und Nigerianerinnen, die in Deutschland keine Zukunft sahen oder abgeschoben wurden, werden hier geschult. Etwa 4.000 sind in den vergangenen Jahren zurückgekommen. Hier lernen sie als Friseure, als Modemacherinnen, als Schuster zu arbeiten. Seit April soll das Zentrum auch verstärkt Nigerianer für Deutschland werben. Legal. Gefördert wird das Zentrum unter anderem vom Entwicklungsministerium. Gerade allerdings wurden die Gelder knapp um die Hälfte gekürzt. Schwierige Zeiten.
Die zwei Hauptthemen Wirtschaft und Migration kommen also nur langsam voran, aber da ist auch noch das Thema Sicherheit auf dem afrikanischen Kontinent. Dafür besuchte Scholz das Kofi-Annan-Friedenssicherungs-Zentrum der Vereinten Nationen in Ghana. Die UN schreiben derzeit auch nicht gerade viele Erfolgsstories. Die UN-Mission in Mali (MINUSMA) ist zum Jahresende vorbei, in West-Afrika grassiert der Putsch-Virus. Nigeria und Ghana gelten noch als relativ stabile Demokratien, daher hat Scholz beide Länder als Reiseziel und Kooperationspartner identifiziert. Auf Augenhöhe. Mit Respekt. Erfolgsaussichten: noch offen.
Überall Fallstricke
Scholz bewegt sich vorsichtig auf dieser Reise, fast tastend. Er will niemand verprellen und trotzdem seine Interessen, die Interessen der Bundesregierung durchsetzen; es ist ein zäher Prozess. Selbst das Friedenssicherungszentrum in Accra ist nicht ohne Fallstricke. Der rote Teppich dort läuft direkt auf eine “Schröder-Hall” zu, die wirklich nach einem Amtsvorvorgänger von Scholz benannt ist. Der aktuelle Kanzler trägt es mit Fassung.
Es ist ein dickes Brett, das Scholz mit seinen Afrika-Initiativen bohrt. Und der Erfolg ist nicht garantiert. An der Ashesi-Elite-Universität in Ghana wird Scholz das sehr deutlich vor Augen geführt. Eine Studierende meldet sich. Ihr Name sei Kerry, sagt sie zu Scholz: “Ich spreche deutsch, aber es ist not like very advanced.” Dann wechselt sie sofort ins Englische. Der Kanzler macht ihr Mut, das Deutsch “klinge sehr gut”.
Das könnte auch als Überschrift über den Afrika-Absichten des Kanzlers stehen.