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Ignoranz Und Vertuschung

Der Freiburger Missbrauchsbericht legt den ehemaligen Erzbischöfen Saier und Zollitsch schwere Verfehlungen zur Last. Beide sollen zahlreiche Fälle von sexualisierter Gewalt ignoriert und gezielt vertuscht haben.

“Es hat den Eindruck, dass die Verantwortlichen die Probleme schlicht ignoriert haben”, lautet das Fazit der Autoren der rund 600 Seiten starken Freiburger Missbrauchsstudie. Sowohl der verstorbene Erzbischof Oskar Saier (1978 – 2002) als auch sein Nachfolger, der emeritierte Erzbischof und langjährige Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch (2003 – 2014), sollen über Jahrzehnte hin Fälle sexueller Gewalt bewusst vertuscht und dabei sogar das geltende Kirchenrecht übergangen haben, indem sie beispielsweise Missbrauchsfälle – nachdem es zur Pflicht wurde – nicht nach Rom meldeten.

24 Fälle unter der Lupe

Für den Zeitraum von 1946 bis 2019 spricht der Bericht von mehr als 250 Priestern, die im Erzbistum Freiburg des Missbrauchs schuldig sind oder beschuldigt werden. Die Zahl der Opfer wird mit mindestens 540 angegeben. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen exemplarisch 24 Fälle, an denen die Strukturen des Umgangs mit sexualisierter Gewalt dargelegt werden.

Immer wieder, so betonen die Autoren, habe dabei eine Art Corpsgeist geherrscht. Dieser erklärte das Image der katholischen Kirche für quasi unantastbar, während die Leiden der Betroffenen so gut wie keine Rolle spielten. Zentral für diese Haltung steht ein mehrfach belegter der Satz von Erzbischof Saier: “Über meine Priester lasse ich nichts kommen”.

Akten manipuliert, Tätern den Rücken gestärkt

Vor allem mit Blick auf Zollitsch spricht der Bericht von “Versagen”. Bereits als Personalchef seines Amtsvorgängers habe der emeritierte Freiburger Erzbischof Missbrauchsfälle bewusst vertuscht. Auf den wiederholten Hinweis “Mach Du’s, Robert!” habe er Saier beim “Verschleiern” und “Versteckeln” geholfen, wenn es galt, den Ruf der Kirche zu schützen.

Zudem seien Akten manipuliert und Tätern – selbst wenn sie bereits strafrechtlich verurteilt waren – der Rücken gestärkt worden. “Betroffene haben jahrelang keine Rolle gespielt”, so die Autoren der Missbrauchsstudie wörtlich.

Der amtierende Erzbischof, Stephan Burger, zeigte sich erschüttert. Er erklärte zudem, dass er kirchenrechtliche Schritte gegen Zollitsch eingeleitet habe, deren Konsequenzen jetzt der Vatikan prüfen müsse – ein Vorgehen, dessen Ergebnis mit Spannung verfolgt werden dürfte.

Aufarbeitung weiterhin in kirchlicher Hand?

Betroffene zeigten sich erwartungsgemäß bestürzt. Sie sprachen einmal mehr von der Kirche als einem “Schutzraum für Täter”, in dem “missbrauchte Kinder und verletzte Kinderseelen über Jahrzehnte” keine Bedeutung hatten. Gerade indem die Freiburger Studie ihren Schwerpunkt auf die intensive Analyse von exemplarischen Einzelfällen legt, fügt sie der systemischen sexualisierten Gewalt in der katholischen Kirche einen wichtigen und bislang weniger belichteten Aspekt hinzu.

Zudem dürfte angesichts der detailliert zur Sprache gekommenen Kaltherzigkeit von neuem die Frage diskutiert werden, ob man der katholischen Kirche die Aufarbeitung ihrer Verfehlungen weiterhin selbst überlässt – oder ob sie nicht in staatliche Obhut gelegt werden sollte.

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