Aus dem politischen Berlin gibt es zahlreiche Solidaritätsbekundungen für Israel. Aber wie genau kann Deutschland in dieser Situation dem Partner Israel helfen? Jetzt ist die deutsche Außenpolitik gefragt.
Israelische Flaggen über dem Reichstagsgebäude, vor dem Kanzleramt, dem Schloss Bellevue. Und ein Wort macht in Berlin wieder die Runde: das Wort der “Staatsräson”.
Es war Angela Merkel, die 2008 zum 60. Geburtstag des Staates Israel im israelischen Parlament einst ein Versprechen gab: “Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Die Sicherheit Israels ist für mich als Bundeskanzlerin niemals verhandelbar”, sagte Merkel unter dem Beifall der israelischen Abgeordneten.
Die Staatsräson schaffte es sogar in den Koalitionsvertrag der Ampel. Und heute, 15 Jahre und einen beispiellos furchtbaren Terrorangriff der Hamas später, macht das Wort erneut die Runde. Aber was genau verbirgt sich hinter dem, was auch Kanzler Olaf Scholz am Sonntag wiederholte?
Dass nämlich die Sicherheit Israels auch in schweren Stunden Staatsräson sei und Deutschland entsprechend handeln werde, versprach der Kanzler. Heißt das im Ernstfall auch Militärhilfe für Israel?
Außenpolitiker der Ampel nennen es ausweichend eine hypothetische Frage. Alle wissen ohnehin, dass die Israelis im Zweifelsfall militärisch viel besser ausgerüstet sind als derzeit die Bundeswehr. Trotzdem: “Deutschland sollte sich bereit erklären, auch Militärhilfe zu leisten, wenn Israel denn fragt”, sagt der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid.
Vereinsverbot gefordert
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Laschet wiederum sagte dem ARD-Hauptstadtstudio unlängst, die Sicherheit der Jüdinnen und Juden in Deutschland sei auch unsere Staatsräson. Und der CDU-Politiker Jens Spahn versteht darunter heute rigoroses Vorgehen gegen muslimische Verbände im Land, die sich nicht, oder nicht deutlich genug vom Terror der Hamas distanzierten.
So dürfe der Zentralverband der Muslime laut Spahn wegen der Staatsräson kein Gesprächspartner mehr für Kanzler und Bundespräsident sein. Verurteilt hat der Verband die Attacke – gleich am Sonntag, vehement. Aber für Spahn wohl nicht deutlich genug.
Lamya Kaddor, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, fordert Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf, zu handeln. Besonders, was ein Verbot von “Samidoun” angeht. Anhänger der pro-palästinensischen Gruppe hatten am Sonntag anlässlich des Hamas-Terrors auf den Straßen von Berlin-Neukölln Süßigkeiten verteilt.
Die Bundesregierung dürfe nicht akzeptieren, dass hierzulande Netzwerke agieren können, die solche barbarischen Terrortaten unterstützen, wie man sie derzeit in Israel von Raketenangriffen über bewaffnete Überfälle, Geiselnahmen, Demütigungen bis hin zu Leichenschändungen erlebt, sagt die Grünen-Politikerin Kaddor.
Bundesinnenministerin Faeser jedoch weiß, wie kompliziert und langwierig Vereinsverbote, Ausweisungen oder der Entzug des deutschen Passes sein können. Aber wenn es Anhaltspunkte gebe, dass auf Deutschlands Straßen Hass und Hetze verbreitet werden, werde das der SPD-Politikerin zufolge als Grundlage genommen, um Leute auszuweisen – falls dies rechtlich möglich ist.
“Solidarische Prüfaufträge”
Michael Roth, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, hatte noch zum 75. Geburtstag des Staates Israel gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio eher weitsichtig das Floskelhafte des Wortes Staatsräson beklagt. Jetzt nennt Roth den Hamas-Terror “den größten Massenmord an den Jüdinnen und Juden nach dem Holocaust”.
Roth will nun genau wissen, was Solidarität mit Israel wirklich in Worten und vor allem in Taten heißt. Für ihn beginnt es damit, dass die deutsche Öffentlichkeit jetzt lernen müsse, schlimme Bilder zu ertragen, wenn die israelische Armee die komplette Infrastruktur der Terrororganisation Hamas vernichten werde. Und auch im Angesicht dieser Bilder trotzdem solidarisch das israelische Vorgehen unterstützt.
Was also heißt uneingeschränkte Solidarität deutscher Außenpolitik mit Israel? Sind es “solidarische Prüfaufträge”, ob die deutsche humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes und die Entwicklungszusammenarbeit mit den Palästinensern den Terror der Hamas finanziert?
Ein Sprecher des Auswärtigen Amts stellt deutlich klar: Man finanziere nicht die Hamas und es gehe kein deutsches Geld an Terroristen. In diesem Jahr hat das Auswärtige Amt über internationale Organisationen etwa 72 Millionen Euro für humanitäre Hilfe vor Ort ausgegeben. Beispielsweise, um Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen.
Alle Mittel seien zweckgebunden für bestimmte Projekte. Dabei werde immer auch überprüft, ob es mögliche Terrorismusbezüge gibt, so der Sprecher. Schon vor den Anschlägen der Hamas am vergangenen Wochenende sei das Praxis gewesen.
Entwicklungsgelder eingefroren
Die humanitäre Hilfe in die palästinensischen Gebiete steht aber offenbar nicht in Frage. Wichtig sei, dass sie weiterhin bei Bedürftigen ankommt, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind in den palästinensischen Gebieten mehr als zwei Millionen Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze will hingegen nochmal genauer hinsehen – nicht zuletzt auch auf Druck des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dessen Präsident Josef Schuster forderte, die finanzielle Unterstützung der Palästinenser müsse sofort beendet werden. Palästinensischer Terror wurde auch mit deutschen Steuergeldern finanziert, sagt Schuster.
Die Entwicklungsministerin hat sämtliche Entwicklungsgelder erstmal eingefroren. Nach dem Schock über die fürchterliche Gewalt der Hamas werde man alle Hilfsprojekte gemeinsam mit den Partnern vor Ort noch einmal genau anschauen, unterstreicht die SPD-Politikerin. Damit keine Gelder in die falschen Kanäle fließen.
Aber auch die Ministerin betont, es gebe keine direkte Finanzierung der palästinensischen Autonomiebehörde und natürlich keine Finanzierung von Terrororganisationen. Vielmehr werden laut Schulze bisher Projekte unterstützt, die jungen Leuten in der Region Zukunftsaussichten geben.
Scholz spricht am Donnerstag im Bundestag
Die deutsche Entwicklungshilfe für die Palästinenser ist seit Jahren Ziel von Kritik. Der beständige Vorwurf lautet, deutsches Steuerzahler-Geld komme indirekt palästinensischen Terrororganisationen wie der Hamas zugute. Für von Deutschland unterstützte Projekte gelten auch deshalb schon lange hohe Auflagen.
Wenn zum Beispiel die politischen Stiftungen deutscher Parteien Projekte in den palästinensischen Gebieten fördern wollen, müssen sie dokumentieren, dass sie ihre lokalen Partner sorgfältig überprüft haben und Verbindungen zu militanten Gruppen ausschließen können.
Strenge Vorgaben gibt es auch für Bauprojekte: Wenn die staatliche deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) im Gaza-Streifen zum Beispiel ein Klärwerk oder eine Entsalzungsanlage baut, muss die tatsächliche Verwendung von jedem einzelnen Sack Zement dokumentiert werden, um sicherzustellen, dass Hamas damit keine militärischen Anlagen baut.
Ohne Entwicklungshilfe – auch aus Deutschland – wären die Lebensbedingungen im Gaza-Streifen noch elender, als sie es ohnehin schon sind. Und es sind auch diese Bedingungen, die den Nährboden für die Rekrutierung für Extremisten-Gruppen wie die Hamas bereiten. Das gilt es zu berücksichtigen, wenn Berlin die Unterstützung nun auf den Prüfstand stellt.
Wie weit geht die Staatsräson? Umfasst sie Entwicklungshilfe? Macht sie Vereinsverbote und ähnlich scharfes Vorgehen im Inland nötig? Ist ein Wechsel in der Iran-Politik überfällig? Eine Klärung scheint nötig. Am Donnerstag will der Kanzler im Bundestag über den Anschlag in Israel sprechen.