Wenn am Mittwochmorgen das Kabinett zusammenkommt, ist Harmonie angesagt. Auf dem sorgsam ausgearbeiteten Tagesplan der Regierungs-PR steht das neue Afrikakonzept der Bundesregierung, das in den vergangenen Wochen erstaunlich streitfrei ausverhandelt wurde. Als Gast der Frühstücksrunde ist der französische Außenminister Jean-Yves le Drian eingeladen, er soll symbolisch die zuletzt arg gebeutelte deutsch-französische Freundschaft hochhalten.
Abseits des öffentlichen Schaulaufens aber wird es hinter den Kulissen weniger einträchtig zugehen. Es gilt, einen Koalitionskrach abzuräumen. Nach SPIEGEL-Informationen trifft sich gleich nach dem Kabinett der streng geheim tagende Bundessicherheitsrat. Dort soll die heikle Frage entschieden werden, ob und wie lange Deutschland sein striktes Waffenlieferverbot nach Saudi-Arabienaufrechterhält.
Über diese Frage hat die Koalition in den vergangenen Wochen heftig gestritten. So fordert die SPD eine Verlängerung des Moratoriums gleich für weitere sechs Monate. Die Union indes will der laut klagenden Wirtschaft entgegenkommen und den Lieferstopp möglichst schnell lockern. Der Zoff ist seitdem laut und zügellos: Die Unionsseite wirft der SPD dieser Tage Realitätsferne und populistischen Moralismus vor.
Erfolglose Kompromisssuche
Begonnen hatte alles im Spätherbst 2018. Kanzlerin Angela Merkel kündigte nach dem Mord an dem Saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi einen kompletten Exportstopp für alle deutschen Waffenschmieden an. Später konkretisierte die Regierung, dass dieses Embargo auch für Systeme gilt, deren Ausfuhr nach Saudi-Arabien bereits genehmigt war. Einige davon, zum Beispiel Dutzende Militärtrucks von Rheinmetall, wurden deswegen quasi wieder vom Schiff geholt.
Seitdem eskaliert der Ärger immer weiter. Die Industrie droht mit Schadensersatzklagen, da sie ihre Verträge nicht erfüllen kann. Zudem steht Berlin bei den engsten Partnern in der Kritik. London beispielsweise kann keine Waffendeals mit den Saudis bedienen, da in Kampfjets oder Raketen deutsche Technik steckt, deren Verschiffung blockiert wird. Außenminister Jeremy Hunt wirft Berlin gar vor, mit dem Embargo die Nato zu schwächen, da die Royal Air Force auf Teile für den Eurofighter warten müsse.
In der Bundesregierung aber war in den vergangenen Wochen kein Kompromiss zu finden. Anfang März hatte man deswegen das Embargo noch mal um einige Wochen verlängert, ebendiese Frist läuft Ende dieser Woche ab. Trotz zahlloser Gespräche im kleineren und größeren Kreis aber gelang es nicht, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Die SPD beharrt auf den Koalitionsvertrag, der jegliche Lieferungen an Staaten verbietet, die am Jemenkrieg beteiligt sind.
Auch Spitzengespräche halfen wenig. Zunächst hatten Kanzlerin Merkel und ihr Vize Olaf Scholz vergangene Woche am Rande des Kabinetts versucht, den Streit unter vier Augen abzuräumen. Kaum waren sie ohne jedes Ergebnis auseinandergegangen, wurden die Staatssekretäre ins Kanzleramt bestellt. Auch sie fanden keinen Kompromiss. Am Montag redeten Merkel und Scholz noch einmal – weißen Rauch aber sah keiner der wenigen Eingeweihten aufsteigen.
Im Bundessicherheitsrat hat die Union die Mehrheit
Dass die Streitfrage nun im Bundessicherheitsrat, dem geheimsten Gremium der Regierung, ankommt, ist bezeichnend. Am Tisch im kleinen Kabinettssaal des Kanzleramts sitzen ausschließlich die Kanzlerin und ihre wichtigsten Minister, oft holt sie den Generalinspekteur der Bundeswehr noch als Berater hinzu. Parteipolitik soll hier eigentlich keine Rolle spielen, vielmehr soll die strikte Vertraulichkeit allen Beteiligten ermöglichen, auch bittere Entscheidungen zu treffen.
Formal dominiert die Union in dem Geheimrat derzeit eindeutig. Mit der Kanzlerin, ihrem Amtschef und den Ministern des Wirtschafts-, Innen- und Entwicklungsressorts könnte man den Koalitionspartner locker überstimmen. So sitzen von der SPD lediglich Finanzminister Scholz, Außenminister Heiko Maas und Justizministerin Katarina Barley in der Runde. Bei einer Abstimmung wären sie am Mittwoch mit nur drei gegen fünf Stimmen in der Minderheit.