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Neue Grundsteuer: Mehr als 900.000 Einsprüche in Mitteldeutschland


Stau bei der Grundsteuerreform: Mehr als 900.000 Einsprüche gegen die Bescheide gibt es allein in Mitteldeutschland, wie eine Abfrage des MDR-Magazins “Umschau” bei den Finanzministerien der Länder ergab. Kritiker halten die Berechnung für zu kompliziert und Teile der Reform für verfassungswidrig.

2.500 statt 40 Euro? Nach der Reform der Grundsteuer schauen einige Hauseigentümer fassungslos auf ihre Bescheide. Die Neubewertungen ihrer Grundstücke durch die Finanzämter haben den einen oder anderen auf dem Papier regelrecht reich gemacht. Die betroffenen Steuerzahler wehren sich.

Die Neubewertungen durch die Finanzämter haben eine ganze Flut von Einsprüchen produziert: In Sachsen-Anhalt sind es knapp 169.000, in Thüringen etwas mehr als 180.000 und in Sachsen sogar fast 580.000, wie die Finanzministerien der Länder auf Anfrage des MDR-Magazins “Umschau” mitteilten. Das sind knapp 930.000 Einsprüche allein in Mitteldeutschland.

Sachsen-AnhaltThüringenSachsen
168.900180.427579.900
(Transparenzhinweis: Die Abfrage erfolgte Anfang August 2024.)

“Grundsteuerrebellen” in Sachsen

Zu den Steuerzahlern, die sich zur Wehr setzen, gehören auch die “Moritzburger Grundsteuerrebellen”, wie sie sich selbst nennen. Das sind mehr als 30 betroffene Grundstücksbesitzer aus der Gegend um Dresden und Meißen. Was sie eint: Die neuen Bewertungen hätten mit dem tatsächlichen Wert ihrer Grundstücke wenig zu tun. Teilweise würden die Finanzämter Hochwassergebiete, Grünland oder gar Waldstücke wie Bauland bewerten, so der Vorwurf.

Ihr Sprecher ist Torsten Küllig. Sein Grundstück liegt in zweiter Reihe, in unmittelbarer Nähe des Schlosses Moritzburg, einst Kulisse für den Filmklassiker “Drei Haselnüsse für Aschenbrödel”. Vor neun Jahren hatte der Familienvater das Gartengrundstück gekauft. 2.600 Quadratmeter für 33.000 Euro. Zwei Doppelgaragen stehen darauf, ansonsten besteht es vor allem aus Garten und Wiese.

Torsten Küllig, Sprecher Moritzburger Grundsteuerrebellen
Torsten Küllig ist der Sprecher der “Moritzburger Grundsteuerrebellen”. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mehr als das 60-Fache an Grundsteuer?

Doch laut Bescheid des Finanzamtes Meißen ist sein Grundstück nun knapp 852.000 Euro wert. Seine Freude über den großen Gewinn hält sich allerdings in Grenzen. “Dieser Wert steht ja nur auf dem Papier. Das ist ja nicht wirklich ein Preis, der am Markt erzielbar wäre”, sagt Küllig. Noch ist offen, wie hoch die Steuer am Ende für ihn ausfällt. Bislang hat er nur erfahren, wie das Finanzamt den steuerlichen Wert seines Grundstücks einstuft – nicht aber, mit welchem Hebesatz seine Steuer später daraus berechnet wird.

Legt man den derzeit aktuellen Hebesatz der Gemeinde Moritzburg zugrunde, müsste er im nächsten Jahr dann schätzungsweise bis zu 2.500 Euro im Jahr zahlen, statt wie bisher nur 40 Euro. “Das wäre mehr als das 60-Fache”, sagt der Familienvater. “Wenn Sie es hochrechnen, kostet mich der Garten dann ab nächstem Jahr jeden Monat 200 Euro, nur an Steuer. Wer kauft sich denn ein Gartengrundstück, wo er jeden Monat 200 Euro an den Fiskus abführen muss?”

Dieser Wert steht ja nur auf dem Papier. Das ist ja nicht wirklich ein Preis, der am Markt erzielbar wäre.Torsten Küllig, Sprecher Moritzburger Grundsteuerrebellen

Experten halten Bundesmodell für verfassungswidrig

Das Problem der Grundsteuerrebellen in Moritzburg: Sachsen wendet das sogenannte Bundesmodell an. Dieses Modell wurde vom heutigen Bundeskanzler und damaligen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) 2019 neu geregelt. Es gilt derzeit in elf Bundesländern, darunter Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz sowie leicht abgeändert im Saarland und in Sachsen. In den restlichen Bundesländern – Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen – gelten jeweils eigene Grundsteuergesetze.

Das Bundesmodell wurde schon früh von Steuerexperten wie Prof. Dr. Gregor Kirchhof, der an der Universität Augsburg den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht inne hat, als besonders kompliziert kritisiert. So seien eine ganze Reihe von Parametern relevant, darunter die Wohnfläche, das Baujahr, Bewirtschaftungskosten, Liegenschaftszinssatz aber beispielsweise auch Restnutzungsdauer, Abzinsungsfaktor und Bodenwert. Nach den Grundsteuergesetzen in Hamburg, Hessen und Niedersachsen sei der Aufwand sehr viel geringer: Da komme es nur auf Fläche und Gebäudeart an. Noch einfacher sei das bayerische Modell, bei dem es in erster Linie auf Grundstücks- und Wohnfläche ankommen würde, wie Kirchhof ausführt.

In einem umfangreichen Rechtsgutachten kommt der Steuerexperte zudem zu der Auffassung, dass das Bundesmodell verfassungswidrig sei. “Es verstößt gegen den Gleichheitssatz”, sagt der Steuerexperte gegenüber dem MDR. “Das spüren wir gerade an der großen Unruhe in der Bevölkerung und an den zahlreichen Fällen, die zu nicht nachvollziehbaren Bewertungen führen.” In manchen Fällen würde das Gesetz auch zu einer richtigen Bewertung kommen, so Kirchhof, aber die Vielzahl der Fälle, die zu einer unsachgemäßen Bewertung führe, sei ein Beleg für den Gleichheitsverstoß des Bundesgesetzes.

Es verstößt gegen den Gleichheitssatz.Gregor Kirchhof, Experte für Finanz- und Steuerrecht

Gregor Kirchhof, Experte für Finanz- und Steuerrecht
Gregor Kirchhof hat an der Universität Augsburg den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht inne. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bodenrichtwerte eigneten sich nicht

Eine wesentliche Rolle bei der Bewertung nach dem Bundesmodell spielt der Bodenrichtwert, also der Wert des Bodens in einer bestimmten Lage. Doch nach Meinung von Kirchhof eignet sich dieser Wert nicht zur Berechnung einer Steuer.

Die Bodenrichtwerte seien reine Richtwerte und deshalb für eine steuerliche Bemessung zu ungenau: “Die Richtwerte wollen in einer Richtwert-Zone grob über die Lage informieren und das machen sie auch. Aber wenn man dann die genauen Grundstücke anschaut, dann hängt es zum einen vom Zuschnitt des Grundstücks ab. Das kann sehr groß sein, aber so zugeschnitten sein, dass man nicht wirklich bauen kann.”

Nicht bebaubares Gartengrundstück wie Bauland bewertet

Dies ist auch bei Torsten Küllig der Fall. Sein Gartengrundstück wurde genau so bewertet wie die Häuser in der ersten Reihe der Hauptstraße. Größtenteils mit 308 Euro pro Quadratmeter. Und das obwohl er auf seinem Grundstück gar nicht bauen darf. “Es wurde faktisch aus steuerrechtlicher Sicht Bauland unterstellt. Baurechtlich ist es aber nach mehrfacher Rücksprache mit dem Bauamt nicht”, sagt Küllig. “Ich könnte hier also kein Einfamilienhaus drauf bauen. Das ist baurechtlich nicht zulässig.”

Auch bei Ehepaar Beicht aus Radebeul ist das so. Ihr Grundstück, knapp 2.700 Quadratmeter groß, haben sie noch zu DDR-Zeiten erworben. Die Wohnlage ihres Hauses ist gut. Doch wegen der Steilhanglage ist keine weitere Bebauung erlaubt. Von der unteren zur oberen Grenze beträgt der Höhenunterschied rund 40 Meter. Gartenbau sei nur im unteren Teil möglich, so Wolfgang Beicht. Im oberen Teil könne man lediglich Wein anbauen. Gegenwärtig ist es eine Trockenwiese. Trotzdem wurde das Grundstück als baureifes Land eingestuft und sogar mit 416 Euro pro Quadratmeter bewertet. Damit sei sein Grundstück für das Finanzamt nun mehr als eine Millionen Euro wert. “Ich bin nun Papiermillionär”, kommentiert der Rentner den Bescheid des Finanzamtes. Doch die Bewertung seines Grundstückes macht ihm nicht nur wegen der künftigen Grundsteuer Sorgen: “Diese 416 Euro pro Quadratmeter bleiben ja immer bestehen. Wenn es mal vererbt wird oder wenn wir es verkaufen wollen, dann müssen wir vielleicht darauf Steuern zahlen. Das weiß man ja alles nicht. Insofern ist das ein völlig unsinniger Wert.”

Bewertung bleibt für Steuerzahler intransparent

Der Vorsitzende des Grundeigentümerverbandes Haus und Grund Dresden Christian Rietschel kennt viele umstrittene Fälle. Gegenüber dem MDR kritisiert er, dass es für Steuerzahler nicht nachvollziehbar sei, wie die Bodenrichtwerte überhaupt zustande kommen. Denn die Arbeit der Gutachterausschüsse bleibt, laut Sächsischer Verordnung, weitestgehend geheim, so Rietschel. So würden die Mitglieder nicht gewählt, sondern bestimmt. “Und wer aus dem Nähkästchen plaudert, kann abgerufen werden”, sagt Rietschel. Nach der Verordnung sei die Kaufpreissammlung zudem geheim zu halten und auch die Urkunden, die der Kaufpreissammlung zugrunde liegen, seien nach der Auswertung zu vernichten. “Das ist die Ermächtigung zur Willkür in unseren Augen”, so Rietschel.

Auf MDR-Anfrage schreibt das Sächsische Finanzministerium, dass die genannte Regelung dem Schutz sehr persönlicher Daten diene: “Ohne diese Regelung könnten Details einzelner Grundstücksgeschäfte, zum Beispiel der Kaufpreis, der Öffentlichkeit zugänglich werden. Dies wäre mit den Grundsätzen des Datenschutzes unvereinbar.”

Sechs Musterverfahren in Deutschland

Mittlerweile laufen bereits sechs Musterverfahren in Deutschland. Initiiert wurden sie von Haus und Grund und dem Bund der Steuerzahler. Das Ziel sei, das Gesetz verfassungsrechtlich zu kippen, so Daniela Karbe-Geßler vom Bund der Steuerzahler: “Wir empfehlen zunächst jedem Eigentümer, neben dem Einspruch auch das Ruhen des Verfahrens zu beantragen. Das bedeutet dann, dass die Einsprüche aktuell nicht bearbeitet werden, sondern dass die Finanzämter abwarten, bis es zu einer verfassungsrechtlichen Klärung gekommen ist.”

Auch Mietpauschalen in der Kritik

Eine der Musterklagen führt Dietz Valentien. Er vermietet mehrere Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus in Chemnitz. Was ihn stört, sind die sogenannten Mietpauschalen, die ebenso zur Bewertung von Immobilien herangezogen werden. Denn auch diese Pauschalen hätten mit der Realität oft wenig zu tun: So wurde bei ihm pauschal fünf Euro pro Quadratmeter zugrunde gelegt, obwohl er für diese Wohnung nur 2,60 Euro pro Quadratmeter an Kaltmiete einnimmt. “Hier sind Mieten angesetzt, die traumhaft sind, aber nicht da zu erzielen sind, wo meine Eigentumswohnungen liegen”, sagt Valentien dem MDR. Eigentlich könnte er sich zurücklehnen, denn als Vermieter kann er die Grundsteuer auf seine Mieter umlegen. Doch das widerstrebt ihm: “Es kann doch nicht sein, dass der Eigentümer sich einfach zurücklehnt und abwartet, was da kommt und die Mieter können nichts tun und zahlen dann aber am Ende die Zeche. Das ist der Grund gewesen, warum ich Klage erhoben habe.”

Betroffene können sich wehren, aber auf eigene Kosten

Mit zwei aktuellen Beschlüssen hat der Bundesfinanzhof (BFH) in München nun Grundeigentümern Recht gegeben, die sich gegen die Festsetzung des sogenannten Grundsteuerwerts gewandt hatten. Grundeigentümer müssen die Möglichkeit haben, gegen eine deutlich zu hoch angesetzte Feststellung des Grundsteuerwerts vorzugehen, so die Richter. Ein solche Möglichkeit sehe das Gesetz aber bislang nicht vor, darum bekamen die Antragsteller nun im Eilverfahren Recht. “Deutlich zu hoch” sei dabei eine Festsetzung, die den tatsächlichen Grundsteuerwert um 40 Prozent oder mehr überschreite. Für betroffene Grundstücksbesitzer, wie die Grundsteuerrebellen aus Moritzburg, heißt das: Sie können sich wehren, wenn sie der Meinung sind, dass die Bewertungen vom Finanzamt mindestens 40 Prozent oder mehr zu hoch sind. Damit wurden ihre Rechte zwar gestärkt, aber die Betroffenen müssen den Gegenbeweis selbst finanzieren.

Die Bundesländer, darunter Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, haben auf die BFH-Entscheidungen am 24. Juli 2024 mit einem sogenannten Ländererlass reagiert. Das zuständige Finanzministerium in Sachsen schreibt auf MDR-Anfrage: “Der Nachweis …kann entweder durch ein Gutachten … oder durch einen innerhalb eines Jahres vor oder nach dem 1. Januar 2022 im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielten Kaufpreis geführt werden.” Dabei sollte beachtet werden, so das Ministerium, dass das Gutachten vom zuständigen Gutachterausschuss oder einem akkreditierten Gutachter bestellt oder zertifiziert worden ist. Es sei nicht ausreichend, “wenn dem Finanzamt andere Dokumente oder Unterlagen vorgelegt werden.”

Das Finanzministerium in Thüringen merkt zudem an, dass Steuerzahler beachten sollten, “dass die Erstellung eines Gutachtens mit nicht unerheblichen Kosten verbunden ist und sich die Nachweisführung nur in besonders gelagerten Einzelfällen lohnt, insbesondere vor dem Hintergrund der vom BFH gezogenen 40 Prozent Abweichungsquote.”

Kritik von Steuerexperten: Bedingungen für Steuerzahler unzumutbar

Prof. Gregor Kirchhof hält die genannten Bedingungen, um einen Gegenbeweis zu führen,  für nicht zumutbar: “Es ist nicht an den Steuerzahlern, einen vergeblichen Versuch zu starten, ein verfassungswidriges Gesetz irgendwie in ein zumutbaren Maß zu bringen. Das wird sowieso nicht gelingen. Es ist am Gesetzgeber und nicht an den Menschen, das Gesetz zu korrigieren.”

Ähnlich sieht es Christian Rietschel von Haus und Grund Dresden: “Die Finanzverwaltung legt Mondpreise fest und der Bürger soll auf eigene Kosten nachweisen, dass es Mondpreise sind. Das ist ein Unding. Wenn dann muss derjenige, der die Preise festlegt, beweisen, wie es dazu gekommen ist. “

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