Die Deutschen haben sich an die Niedrigzinsen gewöhnt. Zu diesem Schluss kommt Martin Weber vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Er hat für die ING-Diba deren Kunden nach ihrem Anlageverhalten befragt. Noch mehr als im vergangenen Jahr, nämlich 64 Prozent, sagen nun: „Nein, die Niedrigzinsen beeinflussen mein Sparverhalten nicht.“ Nach der ökonomischen Theorie müsste der Zins eigentlich Einfluss haben, sagt Weber. Doch die meisten sparen ganz banal, was am Monatsende übrig bleibt, ganz unabhängig vom Zins.
Beliebteste Sparform bleiben die meist zinsfreien, liquiden Formen wie Bargeld, Girokonto und Tagesgeldkonto. Nur die Befragten mit Finanzvermögen von mehr als 50.000 Euro und die ihre Risikobereitschaft als hoch einschätzen, sehen mehrheitlich in Wertpapieren eine sinnvolle Alternative. Weber kommt zu dem Schluss, dass man den Ängstlichen vielleicht einfach mal Aktien schenken sollte oder sie fast zwingen müsste, eigene Erfahrungen mit Wertpapieren zu machen. „In Schweden funktioniert das Modell seit Jahren ganz hervorragend“, sagt Weber, der auch in Deutschland seit Jahren für eine Umstellung der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge hin zu mehr Aktien plädiert. 49 Prozent der Befragten sehen den Dax nächstes Jahr weiter steigen, nur 12 Prozent rechnen mit fallenden Kursen. Mut zur Aktienanlage wird aus dieser positiven Sicht jedoch nicht abgeleitet.
Sparer bleiben tatenlos
Einschneidende Auswirkungen auf das Anlageverhalten hätte es indes, wenn der Zins auf Tagesgeldkonten negativ würde. Damit rechnen zwar immer weniger Sparer. Käme es dazu, würden aber nur noch 5 Prozent der Sparer tatenlos zusehen. Die meisten würden ihr Geld dann abheben und zu Hause in bar aufbewahren. Einige würden die Bank wechseln. Und jeder Siebte käme zu dem Schluss, nun doch riskantere Formen der Geldanlage in Betracht zu ziehen.
Auch dieses Verhalten ist aus ökonomietheoretischer Sicht fragwürdig. Denn ein von 1,4 auf 0,9 Prozent oder von 0,9 auf 0,4 Prozent sinkender Zins ist eigentlich ein ebensolcher finanzieller Einschnitt wie die Senkung von 0,4 auf minus 0,1 Prozent. Aber erst bei diesem Wechsel des Vorzeichens würden die Anleger mobilisiert. „Die Nullgrenze ist ein wichtiger Referenzpunkt, weil die Anleger in nominalen Termini denken, nicht in realen“, sagt Weber. Der Realzins, also Zins minus Inflation, ist schon lange negativ.
Anleger sehen in Negativzinsen ein Entgelt der Bank
Die Anleger sehen in Negativzinsen aber ein Entgelt der Bank, dem keine Leistung gegenübersteht. Das sieht die Mehrheit übrigens auch bei allen Bankgebühren so. Einzige Ausnahme ist die Gebühr für das Bankschließfach.
Die ING-Diba leitet aus diesen Ergebnissen ab, den Tagesgeldzins von derzeit 0,1 Prozent nicht negativ werden zu lassen. Trotz der niedrigen Zinsen, sagt Martin Schmidberger, Leiter des Produktmanagements der ING-Diba, sei das Tagesgeldkonto weiterhin ein wichtigeres Kundenwerbeprodukt als Wertpapiere oder Depots. Von den 8 Millionen ING-Diba-Kunden haben nur 1,2 Millionen ein Depot und damit eine ähnliche Quote wie bei anderen Banken. Immerhin hat sich die Zahl der Wertpapiersparpläne in den vergangenen vier Jahren auf 250.000 verdoppelt. Am häufigsten regelmäßig bespart werden aktive Fonds, gefolgt von börsengehandelten Indexfonds (ETF). 40.000 Sparpläne zahlen aber auch in einzelne Aktien ein. Das vergleicht sich mit immer noch mehr als 1 Million Sparplänen auf das fast zinslose Tagesgeldkonto.