Der Besuch des israelischen Ministerpräsidenten in Berlin wird überschattet von unterschiedlichen Bewertungen der geplanten Justizreform in Israel. Bundeskanzler Scholz bekundete seine große Besorgnis.
Nach einem Treffen mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer gemeinsamen Pressekonferenz besorgt über die umstrittenen Pläne zur Justizreform in Israel. “Als demokratische Wertepartner und enge Freunde Israels verfolgen wir diese Debatte sehr aufmerksam und – das will ich nicht verhehlen – mit großer Sorge”, sagte Scholz.
Der Kanzler betonte, er sei sich mit Netanjahu einig, dass die Unabhängigkeit der Justiz “ein hohes demokratisches Gut” sei. Dabei begrüßte der Kanzler ausdrücklich die Initiative des israelischen Präsidenten Isaac Herzog, einen Kompromiss in dem Streit herbeizuführen, “um einer weiteren Polarisierung in Israel entgegenzuwirken”. Herzog habe konkrete Vorschläge unterbreitet, sagte Scholz. “Wir würden uns als Freunde Israels wünschen, dass auch über diesen Vorschlag das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.” Herzogs Vorschläge setzen unter anderem bei der Auswahl der Richter an. Demnach soll das Gremium, das neue Richter bestimmt, aus drei Ministern, dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, zwei Richtern und zwei Beamten bestehen, auf die sich sowohl der Präsident des Obersten Gerichtshofs als auch der Justizminister einigen.
Netanjahu: “Wir werden keinen Zentimeter davon abweichen”
Netanjahu wies den Vorwurf zurück, er wolle mit der Justizreform der Demokratie schaden: “Israel war, ist und wird immer eine liberale Gesellschaft sein.” Vorwürfe, er strebe eine Diktatur an, seien absurd. Eine unabhängige Justiz sei aber nicht eine “allmächtige Justiz”. Seine Regierung werde alles Notwendige tun, um das Ungleichgewicht zu korrigieren. Auch nach der Reform werde Israel eine unabhängige Justiz haben. “Wir werden keinen Zentimeter von der Reform abweichen, sagte Netanjahu. Den Kompromissvorschlag von Präsident Herzog bezeichnete er als “unausgewogen”.
Der israelische Präsident hatte seinen Kompromissvorschlag am Mittwochabend vorgelegt, allerdings wurde dieser von der Regierung Netanjahu umgehend zurückgewiesen. Herzog warnte angesichts der verhärteten Fronten vor einem Bürgerkrieg in Israel.
Netanjahus rechts-religiöse Regierung will die kontroverse Reform bis Ende des Monats im Schnellverfahren durchsetzen. Die in weiten Teilen vom Parlament, der Knesset, schon gebilligte Reform zielt darauf ab, die Macht der Justiz einzuschränken. Unter anderem ist vorgesehen, dass die Knesset, per Mehrheitsbeschluss Entscheidungen des Verfassungsgerichts aufheben kann. Sie begründet dies mit dem Vorwurf, Richter mischten sich zu sehr in die Politik ein.
Kritiker der Reformpläne fürchten eine Aufhebung der Gewaltenteilung und damit eine Aushöhlung der Demokratie. Seit mehr als zwei Monaten gibt es deshalb heftige Proteste im Land.
Gedenken an den Holocaust
Mit einem gemeinsamen Besuch an der Gedenkstätte “Gleis 17” hatten beide Politiker am Vormittag die Verbundenheit beider Länder und die anhaltende Verantwortung Deutschlands für den Holocaust betont. Der Gedenkort am Berliner Bahnhof Grunewald erinnert an den Beginn der Deportationen von Juden in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus vor mehr als 80 Jahren. Von “Gleis 17” aus waren etwa 10.000 Jüdinnen und Juden während der Naziherrschaft in Arbeits- und Konzentrationslager gebracht worden.
Bei der Pressekonferenz mit Netanjahu betonte Scholz, der Holocaust sei Deutschland eine immerwährende Verpflichtung, sich jeder Art von Antisemitismus entgegenzustellen. Aus der Geschichte sei die Verantwortung erwachsen, das jüdische Leben in Deutschland zu schützen. Die Sicherheit Israels sei für Deutschland Staatsräson, darauf könne sich Israel verlassen, betonte der Kanzler.
Während des Besuchs Netanjahus demonstrierten mehrere hundert Menschen im Regierungsviertel und am Brandenburger Tor. Die Polizei sprach von 400 bis 500 Teilnehmern, angemeldet waren 1000. Auch in Israel gingen erneut landesweit Tausende Menschen gegen die Pläne der Regierung auf die Straßen.